In dieser neuen Kategorie werden wir in unregelmäßigen Abständen einzelne U2 Songs betrachten und aus persönlicher Sicht - d.h. sehr subjektiv - besprechen. Heute geht unser Blick mehr als 30 Jahre in die Vergangenheit. Unser Mitarbeiter Marcus über Van Diemen's Land:

"This is a song Charles Manson stole from The Beatles ... we're stealing it back." Mit diesen Worten beginnt das Album "Rattle and Hum". Es folgt "Helter Skelter", ein Stück Punkmusik aus den 60ern, lange bevor man sie so genannt hat.Es war das dritte Album von U2, das ich mir damals (wohl bald nach Erscheinen) gekauft habe und meine erste CD von ihnen.

Bei einer retrospektiven Albumkritik könnte man jetzt von Charles Manson elegant in das Jahr 2019 überleiten, auf den aktuellen Spielfilm von Tarantino verweisen und auf David Finchers Serie "Mindhunter". Oder man könnte gleich zu "Desire" skippen, der ersten No. 1 Single von U2 in England. Aber nein, hier geht es um den ruhigen Song dazwischen: "Van Diemen's Land". Er versteckt sich zwischen den zwei expressiveren Titeln. Auch im Film wird er nur als musikalsiches Intro genutzt. Die Credits laufen noch über die Leinwand, während das Stück zu hören ist. Aber "Van Dienem's Land" ist einer meiner Favoriten.

Aufgefallen ist mir der Titel damals sofort aufgrund seiner schönen Melodie und natürlich auch, weil er nicht von Bono gesungen wird. Es ist ein politischer Song, aber keiner, der ein Problem der Gegenwart aufgreift. Er gibt die Perspektive eines Sträflings wider, der sich von seiner Geliebten verabschiedet und ans andere Ende der Welt, nach Tasmanien, verschifft wird. Tasmanien, Van Diemen's Land, wie es vorher hieß, wurde bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert hinein als Strafkolonie von den Engländern genutzt. Viele Verbrecher, die vorher von der Todesstrafe bedroht waren, wurden jetzt einfach ins Exil geschickt. Wobei "Verbrecher" relativ zu sehen ist. Darunter fielen eben auch die Diebe, die aufgrund der großen Armut in England und Irland zu dieser Zeit gezwungen waren, ihre Familie irgendwie vor dem Hungertod zu bewahren. Und so klagt ja auch der Protagonist "Now kings will rule and the poor will toil / And tear their hands as they tear the soil / But a day will come in this dawning age / When an honest man sees an honest wage" und hofft darauf, dass sich die Verhältnisse einst ändern werden.

Keiner der vier Musiker von U2 hat bisher ein Solo Album veröffentlicht. "Van Diemen's Land" ist aber so etwas wie ein Solowerk von The Edge. Er hat die Lyrics geschrieben, er alleine spielt den Song auf der Gitarre und so wirkt das Stück auch nicht wie ein typischer Track seiner Band, eher wie ein Traditonal, ein Folksong aus dem 19. Jahrhundert. Ganz geschickt hat Edge die Musik und die Vortragsweise an den Text angepasst. Und die Musik und die karge Instrumentierung stellen auch die Trauer des Abschieds dar. Für mich ist "Van Diemen's Land" ein übersehenes und sehr zeitlos klingendes Juwel in der inzwischen sehr umfangreichen Discographie von U2.